Über die Geschichte feministischer Bewegungen existierten lange Zeit gefestigte Narrative und Archive, die vor allem eines waren; kolonial und weiß.
Im 18./19. Jahrhundert formulierten englische und französische Frauen ihre Ansprüche auf die allgemeinen Bürgerrechte, wie sie bis dahin nur Männern vorbehalten waren, und taten dies öffentlich. Die der Geschichtsschreibung nach bekanntesten unter Ihnen waren von Bildung privilegiert. Und obwohl in dieser Zeit und dieser Gesellschaft die Ausbeutung der Menschen und Ressourcen in den Kolonien auf dem afrikanischen Kontinent auch den Frauen der englischen und französischen Aristokratie bekannt waren, zielten feministische Forderungen auf Gleichberechtigung immer nur auf die Lebensverbesserung standes- und klassegleicher Frauen ab. Kurz gesagt: Es waren Forderungen nach Teilhabe an Privilegien, nicht an der Abschaffung ebenjener. Und am allerwenigsten bezogen sie die Freiheitsrechte Schwarzer Frauen, in Sklaverei in England und Frankreich oder in den Kolonien leidend, mit ein.
Die weißen Suffragetten hatten sich, vollkommen zurecht, dem Kampf um ein allgemeines Wahlrecht für Frauen verschrieben. Traurigerweise hatten hinter dem Begriff „Frau“ im Weltbild der Suffragetten Schwarze Frauen keinen Platz, auch wenn sich einige Schwarze Frauen diesem Kampf anschlossen und schon zu dieser Zeit queer-inklusiv praktizierten. Ihr Verständnis von Gleichberechtigung schloss das Wahlrecht für alle Menschen mit ein; nicht nur für weiße Frauen. Die Existenz und die Beteiligung Schwarzer Frauen an den feministischen Kämpfen aus jener Zeit wird jedoch nach wie vor, wider besseres Wissen, unsichtbar gehalten und wenn überhaupt nur auf Nachfrage miterzählt.
Zu Anfang des 20.Jahrhunderts begehrten weiße Frauenbewegungen laut und sichtbar gegen die sexistische (pseudo)wissenschaftliche Entstellung und Entwertung als das „Andere Geschlecht“ auf, wie sie, unter dem Dogma der Binarität, von Männern postuliert wurde. Die Kontinuität des sozialisierten und internalisierten Rassismus in weißen Freiheitsbewegungen sorgte dafür, dass sich zeitgleich auch Schwarze Feminist*innen im Kampf für ihre Rechte auf die Unversehrtheit der eigenen Identität organisierten. Feministische Geschichte, die weiß erzählt wird, blendet diese Teile jedoch nach wie vor aus.
Aus der Zeit der Weltwirtschaftskrise des vergangenen Jahrhunderts sind die feministischen Bewegungen auch unter der Bezeichnung „1.Welle“ bekannt, welche in Amerika und Europa für die Zugänge von Frauen zu Berufen der Industrie, für bessere Arbeitsbedingungen und für gleichen Lohn bei gleicher Arbeit gekämpft haben. In kolonialer Manier unsichtbar gemacht sind auch hier wiederum die Arbeitskämpfe Schwarzer Menschen, die mehrfach diskriminiert wurden, weil sie Schwarz und weil sie Frauen waren. Ohne jegliches Recht auf Beschäftigung außerhalb von Haushalts- und Feldarbeit, unter Ausschluss der Mitwirkung in weißen Gewerkschaften und unter permanenter rassistischer und sexistischer Gewalt leidend, organisierte sich ein Schwarzer Feminismus und entwickelte Visionen, die immer die Verbesserung der Arbeits- Einkommens- und Lebensalltagsbedingungen aller Menschen zum Gegenstand der Forderungen machte, nicht nur die von Schwarzen Frauen.
Die Geschichte der sogenannten „2.Welle des Feminismus“, die in den 1960/70er Jahren in Europa und Amerika erzählt wird, bleibt der bedauerlichen Exklusion und Unsichtbarmachung feministischer Bedürfnisse treu, wenn diese nicht weiß waren. Das Recht auf selbstbestimmte sexuelle Entfaltung, auf Reproduktive Souveränität, auf Strafverfolgung bei Gewalt und Missbrauchserfahrung in und außerhalb von Ehen; alles davon ist unzweifelhaft. Und die politische Mitwirkung an Gesetzen und öffentlichen Strukturen zur Umsetzung dieser Rechte wird hoffentlich immer feministische DNA sein. Doch während weißer Feminismus daran arbeitete Narrative zu konstruieren, die bspw. den Ausschluss von Arbeits/Migrant*innen an der Teilhabe feministischer Errungenschaften rechtfertigte, arbeitete Schwarzer Feminismus all-inklusive. Mit Freiheitskämpfen anderer Gruppen und Gesellschaften auf allen Kontinenten findet seit jeher Austausch auf innerer Augenhöhe statt um die systemischen Unterdrückungsmuster zu identifizieren und die Kämpfe daran angeknüpft zu verbinden. Unter anderem deswegen sind sich feministische Perspektiven in Schwarzen, palästinensischen oder kurdischen Kämpfen gegen Unterdrückung, Entrechtung und Entwertung gegenseitig und untereinander sichtbar.
Auch weißen feministischen Bewegungen reichen Schwarze Kollektive und mehrfachdiskriminierte Gruppen immer wieder die Hände. Die Resultate sollten uns aus der Arbeitsweise des Patriarchats allerdings bekannt vorkommen. Politische Arbeit wird korrumpiert, Ideen und Methoden ohne Credits angeeignet und die wahre Urheberschaft verleugnet. Schwarze und queere Aktivistis of Color werden nach aufopferungsvoller Arbeit aus Bündnissen und Bewegungen gedrängt; und was dem allen die weiße Krone aufsetzt; sie werden um die Teilhabe betrogen, wenn gemeinsame Kämpfe erfolgreich sind, wie beispielsweise die Stonewall Riots, wo trans Personen of Color auch aus den Narrativen und Archiven der anschließenden CSDs in den USA und weltweit verschwanden, obwohl ihr Engagement zuvor wegweisend und schmerzvoll war.
Ein anderes tragisches Beispiel für die Exklusion am Erfolg sind die Bewegungen im Kampf gegen AIDS, Ende der 80er/ Anfang der 90er Jahre. Obwohl Bewegungen wie z.B. ACT-UP in ihren Kernforderungen erfolgreich waren und heute viele Menschen mit AIDS ein langes und gehaltvolles Leben erfahren können, gilt dies in der Praxis im Wesentlichen nur für weiße männliche Menschen des globalen Nordens. Schwarze, Indigene und kolonialisierte Menschen of Color des globalen Nordens und Südens sind nach wie vor von den Zugängen zu aufklärender Prävention, medizinischer Behandlung und lebensverlängernder Gesundheitsvorsorge abgeschnitten. Und sie werden es wohl auch bleiben, wenn weiße Menschen weiterhin feministische Erfolge nur in die eigenen Privilegien einverleiben, statt sie mit allen von Diskriminierung betroffenen zu teilen.
Heute steht die Menschheit als Ganzes mit dem Klimawandel vor der größten globalen Herausforderung. Im feministischen Kontext ist es mehr als je zuvor notwendig, keine Zeit, Energie und Ressourcen aller Art mehr in ein Gebaren zu investieren, das darauf abzielt die Kämpfe, Narrative und Archive anderer Feminismen unsichtbar zu halten. Schwarze Feminismen, Jüdische Feminismen, Muslimische Feminismen, be_hinderte Feminismen, Indigene Feminismen, Queere Feminismen, migrantische Feminismen und alle intersektionalen Verschränkungen aus diesen und noch vielen mehr haben eine Geschichte, haben ihre Narrative und ihre Archive. Alle, die weiß privilegiert sind und für Feminismus eintreten, haben jeden Tag die Möglichkeit zu entscheiden, wann sie beginnen wollen an deren Existenz zu glauben.
Die Unsichtbarmachung aller, die anders sind, ist ein Erkennungsmerkmal der Gewalt. Und weißer Feminismus ist ein Derivat aus kolonialer, patriarchaler und kapitalistischer Gewalt; erkennbar daran auch zu den Mitteln der Unsichtbarmachung anderer zu greifen, wenn es darum geht die eigenen Kämpfe auf Selbstbestimmung gewinnen zu können. Und dies ist der einzige Feminismus, der uns gestohlen bleiben kann.