Das ist eine Gastrezension von Volker Adam. Mehr zu Volker erfährst du am Ende des Beitrags.
Space Opera ist ein SF-Roman, in dem Raumschiffe vorkommen, der uns in weit entfernte Regionen der Milchstraße führt, in dem Menschen Erstkontakt mit außerirdischem Leben haben, der dabei jede Menge sehr unterschiedliche Aliens auftreten lässt und bei dem der Menschheit auch die Gefahr einer globalen Zerstörung droht. Soweit so gut, wie es sich eben für eine ordentliche Space Opera gehört.
Nur ist es eigentlich eher eine Story über den Eurovision Song Contest in Gestalt eines Science-Fiction. Die Farben des Covers samt Diskokugel, die von zwei Planetenringen umkreist wird, stimmen schon auf das Spektakel ein. Wem das jetzt schon zu viel ist, da er/sie diesen speziellen Samstag im Mai seit Jahren ignoriert, der/die möge bedenken, wie viel herrliche Politik da immer mitspielt und dass es wohl kein anderes Kulturereignis gibt, das eigentlich von niemandem ernstgenommen dafür aber von so vielen Millionen heiß geliebt wird. Dass sich das zu einer humoristischen, aber stellenweise auch bitterbösen SF-Geschichte ausarbeiten lässt, beweist der vorliegende Roman. Allerdings ist ein wenig Verständnis/Sympathie für den Glamrock und die Absurditäten des ESC schon hilfreich bei der Lektüre.
Geschrieben wurde Space Opera 2018 von der US-amerikanischen SF- und Fantasy-Autorin Catherynne M. Valente, die nach einem Erweckungserlebnis während eines Englandaufenthaltes 2012 bekennender Fan und Missionarin in Sachen ESC geworden ist. Sie muss ihrer Umwelt mit ihrer Begeisterung für diese Show, ihre Rituale, politischen und gesellschaftlichen Hintergründe derart zugesetzt haben, dass man ihr schließlich riet, doch einen SF über den Eurovision Song Contest zu schreiben. Dafür siedelte sie zeitweise nach London über, studierte die paneuropäischen Gebräuche rund um das Spektakel und ließ sich sogar in einem Moment der Schaffenskrise vom britischen SF-Altmeister Christopher Priest höchstpersönlich darin bestärken bloß nicht aufzugeben. Und es war klar, dass ein Roman über einen intergalaktischen ESC nur in Form einer komödienhaften Groteske, allerdings mit vielen gesellschaftspolitischen Anspielungen, geschrieben werden konnte. In Stil und Sprache erinnert daher extrem viel an Douglas Adams, was beabsichtigt ist und für jede Übersetzung eine riesige Herausforderung darstellt. Valente zieht diese übertrieben spaßhafte und meist sarkastische Sprache mit bizarrsten Anspielungen und aberwitzigen Vergleichen auf 346 Seiten konsequent durch. Was mutig ist! Und nicht leicht für die Lesenden. Häufig ist es auch richtig lustig, vor allem, wenn es um das Innenleben der menschlichen Protagonisten geht oder ihr erstes Aufeinandertreffen mit den unterschiedlichen Spezies. Bei anderen Passagen, etwa historischen Entwicklungen auf den einzelnen Planeten, die wichtig sind, um das Wesen der Mitkonkurrent*innen sowie die Beziehungen der Außerirdischen untereinander besser zu verstehen, klappt das manchmal auch. Hin und wieder tat ich mich da aber auch schwer und fand die Sprache eher gewollt komisch.
Es ist natürlich schon bemerkenswert, dass sich eine US-Amerikanerin so detailliert und mit viel Liebe zum europäischen Detail mit dem ESC beschäftigt bzw. ein intergalaktisches Pendant stattfinden lässt. So entwirft sie nicht nur fast ein Dutzend völlig verschiedener Alienkulturen, sondern lässt auch die Erdbewohner*innen mit ihren unterschiedlichen Sprachen und Gewohnheiten zu Wort kommen. Diversität in jeglicher Hinsicht ist beim ESC ja groß angesagt, und das kommt auch im Roman zur Geltung.
Der Name Catherynne M. Valente ist natürlich ein Pseudonym (für Bethany Thomas) und erinnert an die Sängerin Catherina Valente. Die Musikszene spielt in ihrem Leben eine wichtige Rolle und dies wirkt sich natürlich sehr positiv auf die Story und die Zeichnung ihrer (Anti)held*innen aus. Diese wirken trotz aller Absurditäten um sie herum an vielen Stellen authentisch.
Im Mittelpunkt stehen die Mitglieder einer britischen Glamrockband (die Absolute Zeros), die vor Jahren mal ein paar Kracher produziert hatten. Diese haben es auch in den Äther geschafft, weswegen das außerirdische Komitee des Metagalaktischen Grand Prix entscheidet, dass die Absolute Zeros die Menschheit nach erfolgter Kontaktaufnahme bei der Show vertreten dürfen. Allen Menschen auf der Erde erscheint simultan ein Vertreter der Esca, der letzten „entdeckten“ Spezies, der aussieht wie der berühmte Roadrunner der Looney Tunes, und verkündet, dass sich die Menschheit einer Prüfung unterziehen muss: Handelt es sich bei ihr um eine empfindungsfähige Spezies oder nicht? Die Prüfung findet anlässlich des Metagalaktischen Grand Prix statt. Gelingt es den Vertretern der Menschheit auf Anhieb nicht auf dem letzten Platz zu landen, ist alles gut und ihre Empfindungsfähigkeit ist bewiesen. Landen sie auf dem letzten Platz, ist es hoffnungslos mit ihnen und sie könnten eine potentielle Gefahr für die Galaxis werden. Daher würden alle Menschen umgebracht und ihre Biomasse so auf der Erde neu verteilt werden, dass dort die Evolution neue Wege beschreiten kann.

Trotz aller Proteste der Regierungen (vor allem die USA müssen 2018 einen neurotischen Streithammel an der Spitze gehabt haben – weiß gar nicht mehr, wer das war?), wollen die Aliens die Absolute Zeros sehen und entführen diese auch gleich auf ihr Raumschiff. Dabei ist die Band schon lange nicht mehr komplett – die Drummerin (Mira Wonderful Star) starb nach einem Unfall, als es mit der Band schon bergab ging. Die verbliebenen beiden können kaum mehr miteinander und sind ziemlich abgehalftert. Beide sind Migranten, deren Familien peinlich bemüht waren, möglichst englischer als die Engländer zu wirken: Danesh Jalo (Künstlername Decibel Jones) ist muslimisch südasiatischer Abstammung und Ömer Çalışkan (Künstlername Oort St. Ultraviolet) hat türkische Wurzeln. Decibel Jones stand immer im Rampenlicht, und als es noch gut lief, war Oort sein „Boyfrack“. Und mit Mira Wonderful Star hatte er gleichzeitig was am Laufen, bevor Decibel Jones die Beziehung vermasselte und möglicherweise schuld an ihrem Unfalltot war.
Auf dem Raumschiff der Esra werden beide von ihrer Betreuerin (das genaue Geschlecht lässt sich nicht in menschliche Kategorien übersetzen) während der Reise zum Austragungsplaneten auf das Kommende vorbereitet und versuchen sich verzweifelt wieder in Kreativität. Man ahnt, dass die Menschheit vor großen Problemen steht, denn die beiden bekommen nichts mehr auf die Reihe, sondern wälzen sich in ihren Ausgediente-Glamrockstars-mit-Migrationshintergrund,-die-zu-schnell-zu-berühmt-wurden-und-dann-abstürzen,-Traumata herum! Da helfen auch transgalaktische Eskapaden mit der Esra nicht, um auf neue Ideen zu kommen, die die Menschheit vor ihrem Ende bewahren könnten. Die Reise erinnert natürlich ein bisschen an die Zugfahrt von Katniss Everdeen und Peeta Mellark (Tribute von Panem) von Distrikt 12 in das Kapitol, wenn es auch klar satirisch bleibt.
Währenddessen freut sich die Galaxis auf den nächsten Grand Prix. Eingeführt wurde der nach einem für alle Planeten verheerenden intergalaktischen Krieg (erinnert an: 2. Weltkrieg), damit die verschiedenen Spezies sich lieber künstlerisch messen als umbringen. Dabei gibt es ungeschriebene Regeln, wie z.B.: Die politisch und wirtschaftlich mächtigsten Planeten landen beim Voting immer auf den hintersten Plätzen, weil die anderen ihnen aus Prinzip keine Punkte geben – selbst wenn ihre Lieder super und die Shows spektakulös sind (erinnert an: Nur selten landen England, Frankreich oder Deutschland beim ESC mal vorne!). Normalerweise sind keine Neulinge dabei, und dann wird auch niemand ausgelöscht. Neukandidat*innen für den Empfindlichkeitstest kommen nur alle paar Jahre vor, aber dann ist die Spannung natürlich größer.

Auf dem Austragungsplaneten des Vorjahressiegers angekommen, werden unsere Freunde vom „Absoluten Nullpunkt“ gleich ins Halbfinale gestürzt, das in der Hotelbar stattfindet und gar nicht ausgestrahlt wird. Dort treffen sie auf die Vertreter*innen der anderen Spezies und werden interessiert beschnuppert. Aber bei all dem „Ach, was haben wir uns alle so lieb und finden uns gegenseitig so toll“ wird mit übelsten Bandagen gegeneinander intrigiert, um in die Endrunde zu kommen. Und so müssen sich Decibel Jones sowie Oort St. Ultraviolet aller möglichen Ränke und Annäherungsversuche bizarrster und hinterhältigster Spezies erwehren, um in die Endrunde zu kommen, wobei Decibel Jones die Stimme bei einem abgekarteten One-Night-Stand einbüßt.
Kurz: Die Erdlinge überleben dieses Halbfinale, das meines Erachtens einen der Höhepunkte des Buches darstellt. Um ihre Stimme gebracht und ohne einen gescheiten neuen Song wäre das Ende der Menschheit eigentlich schon sicher. Aber zum Glück für die Absolute Zeros gibt es unter den Aliens auch ein paar nettere Arten, die sich (obwohl es, das weiß man von Star Trek, eigentlich strengstens verboten ist) der Zeitreisetechnik bedienen, so dass sie vielleicht am Ende doch noch eine Chance bekommen nicht alles zu vermasseln.
Wen ich jetzt nicht abgeschreckt habe, den/die erwartet mit Valentes Space Opera wirklich einige Stunden Lesefreuden – und ja, ein oder zwei Cocktails oder Longdrinks beim Lesen würden durchaus den Genuss steigern.
Kurzinfo zu „Space Opera“ von Catherynne M. Valente
Sprache: Deutsch
Erscheinungsjahr: 2019
Seitenzahl: 352 Seiten


Info zu unserem Gastautor Volker Adam (er/ihm)
Volker Adam lebt seit über 20 Jahren in Halle und sammelt seit jeher Bücher ohne Ende. Die meisten als Bibliothekar für die ULB Sachsen-Anhalt und dort vor allem Literatur aus dem Nahen Osten, der Türkei und dem Kaukasus. Die kann er aber auf Arbeit nicht lesen, weswegen er auch eine ständig größer werdende private Sammlung hat. Hier liest er gerne zur Entspannung SF und Phantastik. Wenn ihm etwas besonders gut gefällt (oder sehr ärgert), schreibt er auch mal eine Rezi für das Hallesche SF-Fanzine „Neuer Stern„. Seit letztem Jahr trägt er auch mal Selbstverfasstes im Salon Pegasus (Literaturhaus Halle) vor.