kohsie, die Diversity Buchhandlung, ist ein Herzensprojekt von mir, der Gründerin Sarah Lutzemann. Wenn ich die Entstehungsgeschichte von kohsie erzählen will, kann ich das allerdings nicht, ohne auch ein bisschen was von meiner eigenen Geschichte zu erzählen. Dazu muss ich in der Zeit ein paar Jahre zurückreisen, um dort zu beginnen. Keine Sorge, ich fange nicht bei meiner Geburt an. Aber ich möchte dass du verstehst, welche Motivation, welche Glaubenssätze und welche Werte für mich hinter kohsie stehen. Bereit? Dann los.

Bücher und die Liebe zum Lesen begleiten mich schon mein ganzes Leben lang. Schon bevor ich zur Schule ging, konnte ich lesen. Bücher waren (und sind bis heute) mein ständiger Begleiter und nicht selten waren die Protagonist:innen als Kind wie Freunde für mich. Doch obwohl mein Bezug zur Literatur so klar vorhanden ist, sah meine Karriereplanung erst ganz anders aus.
Nach der Schulzeit wusste ich nicht wirklich, was ich später mal beruflich machen wollte. Ich hatte sehr viele Ideen und Träume, aber wenig konkrete Pläne. Also begann ich eine Ausbildung in der Automobilindustrie im Bereich Logistik, immerhin galt das erstmal als ein sicherer Job. Im Nachhinein muss ich sagen, ich hatte viele schöne Momente dort, manchmal hat der Job sogar Spaß gemacht, ich hab viele tolle Menschen, vor allem Frauen, kennengelernt und hey, ich hab jahrelang gut verdient.
Doch nicht zuletzt hab ich in dieser Zeit wahnsinnig viel gelernt. Nicht nur über die berufliche Materie, sondern vor allem über das Leben und mich selbst. Ich habe gelernt, mich als schüchterne, introvertierte Frau mit dunkler Hautfarbe in einem absolut männlich geprägten, oft sexistischen und teilweise rassistischen Umfeld zu behaupten. Ich habe gelernt, dass ich hart und viel arbeiten kann und es mir Spaß macht, wenn ich an die Sache glaube. Wenn ich etwa davon überzeugt bin, dass meine Arbeit einen Wert und einen Sinn hat. Genauso habe ich aber gelernt, was ich nicht will und nicht sein kann. In mir herrscht eine absolute Blockade, blind Befehle zu befolgen deren Sinn ich nicht verstehe oder Arbeiten auszuführen, die ich für unnötig oder überflüssig halte. Ich brauche es, Dinge hinterfragen und Prozesse ändern zu können, damit diese für mich funktionieren. Leider war dies in meinem alten Job nicht immer möglich, vor allem nicht in meinen letzten Jahren dort.
In den letzten Jahren vor meiner Kündigung arbeitete ich mehr und mehr nicht nur für die Firma, sondern auch gegen meine eigene Persönlichkeit. Ich startete morgens oft mit Bauchschmerzen und unterdrückter Frustration in den Arbeitstag und ignorierte permanent meine Gefühle. Das ging natürlich nicht dauerhaft gut, was dazu führte, dass ich mindestens zweimal zu Hause völlig zusammenbrach. Mein Zyklus war unregelmäßig, meine Ess- und Schlafgewohnheiten ebenso und ich hatte überhaupt keine Ahnung, wohin das alles führen sollte. Doch dann half mir ein Mantra, dass mir schon einmal geholfen hatte:
Ich bin mehr als das
Dieses Mantra half mir zu Beginn meiner beruflichen Zeit bei der Firma, mich aus einer Abteilung zu befreien, in der ich tagtäglich von Rassismus und Sexismus betroffen war, mit einem Nazi zusammenarbeiten musste und vom Chef „gelobt“ wurde indem er sagte, ich sei sowas wie das Maskottchen der Abteilung.
Jetzt hörte ich das Mantra wieder, es hallte in meinem Kopf und wurde von Tag zu Tag lauter. Ich musste da raus. Ich war es leid, 8 Std. meiner Lebenszeit für diesen Job zu vergeuden, mich selbst aufzugeben und meine Persönlichkeit zu verbiegen, nur um dort reinzupassen. Ich bin mehr als das und ich wollte mehr.
Als mein Arbeitgeber dann ein Sanierungsprogramm startete und Mitarbeiter:innen den Austritt aus dem Unternehmen im Rahmen eines Abfindungsprogramms anbot, zögerte ich nicht. Das war meine Chance und ich nutzte sie. Ende 2019 verließ ich also meinen Job in dem Unternehmen, in dem ich 16 Jahre lang gearbeitet hatte. Es war eine großartige Entscheidung, die ich bis heute nie bereut habe. Im Gegenteil, ich hab mich nie besser, freier und leichter gefühlt.
Um nie wieder so abhängig von den Entscheidungen (und Launen) von Vorgesetzen zu sein und nie wieder gegen meine eigene Persönlichkeit und meine inneren Werte arbeiten zu müssen, entschied ich mich für die Selbstständigkeit. Ich wollte ein Einzelhandelsgeschäft eröffnen, mit den Produkten, die ich selbst benutze und liebe, verbunden mit Beratung, Vorträgen und Workshops.
Ich gab mir den Januar 2020 zum Durchatmen, um danach mit der Planung des Ladens zu starten der Mitte 2020, damals noch in Saarbrücken, eröffnen sollte. Doch dann kam die Corona-Pandemie in Deutschland so richtig in Fahrt, verbunden mit dem ersten Lockdown. Meine Pläne der Eröffnung eines Einzelhandels waren also erst mal auf Eis gelegt. Nach einiger Überlegung entschied ich mich dazu, erst mal abzuwarten und zu sehen, wo die Reise hingeht, ohne zu ahnen, dass sich das Abwarten fast über das komplette Jahr 2020 hinziehen würde. Im Nachhinein war diese Entscheidung aber goldrichtig und ich glaube heute, dass alles was dann passierte für mich genau so kommen sollte.

Denn im Herbst 2020 wusste ich nicht nur viel genauer, was ich in meinem Laden anbieten wollte, sondern auch, dass dieses Geschäft sich nicht im Saarland befinden würde. Als mein Mann mir vorschlug, in seine alte Heimat nach Halle (Saale) zu ziehen, war ich sehr schnell davon begeistert. Ich spürte einfach, dass es auch für mich Zeit wurde, woanders zu leben und an einem neuen Ort neu anzufangen. Also zogen wir zu Beginn des Jahres 2021, mitten im zweiten Lockdown, in den Osten und ich wurde von einer Saarländerin zu einer Sachsen-Anhaltinerin.
Ich befasste mich wieder mit der Geschäftsplanung und hatte (ehrlich wahr!) eines Morgens plötzlich DIE Eingebung, was ich zukünftig machen wollte: Bücher! Ich wollte Bücher verkaufen. Immerhin liebe ich Bücher. Ich liebe es, sie zu betrachten, ich liebe es, in ihnen zu blättern, sie anzufassen, an ihnen zu schnuppern (okay, zugegeben, ich liebe es vor allem an alten Büchern zu riechen) und nicht zuletzt liebe ich es, zu lesen.
Doch so gern ich schon immer lese, so einseitig war meine Auswahl der Literatur tatsächlich geprägt.
Dies wurde mir so richtig bewusst, als ich Ende 2019 auf eine Challenge in den sozialen Medien stieß, die dazu anregte ein Jahr lang nur Bücher zu lesen, die von Frauen geschrieben wurden. Was sich zuerst wie eine Einschränkung anfühlte, eröffnete mir in Wirklichkeit den Zugang zu einer ganz neuen Welt. Als ich gezielt meinen Fokus auf weibliche Literatur legte, stellte ich überrascht fest wie vielfältig diese tatsächlich ist. Im weiteren Verlauf der Challenge entdeckte ich nicht nur unfassbar gute Bücher, die ich bisher nie auf dem Schirm hatte, sondern begann auch, meine eigenen Lesegewohnheiten zu hinterfragen. Das Ergebnis war nicht wirklich überraschend, dennoch etwas schockierend für mich. Bisher las ich vor allem Geschichten, die im Gehirn von Männern entstanden sind, bisher erklärten mir vor allem Männer die Welt und die fiktiven Welten der Romane, die ich bisher gelesen habe, wurden auch meist von Männern erschaffen. Selbst bei den weiblichen Protagonistinnen blickte ich bisher meist durch die Augen eines Mannes auf die (Haupt-)Figur.
In der Schulzeit war es besonders drastisch, denn die Pflichtlektüre in unserem Deutschunterricht war vor allem eins: Von männlichen Autoren verfasst.
Einmal die Augen geöffnet war es nicht mehr zu übersehen, männliche Literatur dominiert überall, während die Literatur von Frauen noch immer meist ein Schattendasein fristet und nicht selten noch in Kategorien wie „Frauenromane“ zu finden ist. (Es gibt übrigens keine Kategorie „Männerromane“). Die Lektüreempfehlung für Gymnasien in Sachsen-Anhalt umfasst ebenso zu 80% männliche Autoren und nur 20% weibliche Autorinnen. [Quelle: https://lisa.sachsen-anhalt.de/unterricht/lehrplaenerahmenrichtlinien/gymnasium/]
Auch wenn dies, anhand dieser Zahlen, auf den ersten Blick so scheinen mag, es liegt nicht daran, dass es keine weiblichen Autorinnen gibt, die gute Bücher schreiben. (Wobei „gut“ hier ja sowieso ein Prädikat ist, über welches diskutiert werden darf und sollte). Diese Zahlen stellen lediglich dar, worauf der gesellschaftliche Fokus gelegt wird. Oder anders gesagt, worauf rein männliche Gremien den Fokus legen.
Erst als ich selbst meine Aufmerksamkeit für ein Jahr komplett umlenkte, offenbarte sich mir das tatsächliche Bild. Es gibt jede Menge Bücher von weiblichen Autorinnen, reichlich sogar, unglaublich vielfältig und übrigens längst nicht nur in den Kategorien Liebesromane und Kinderbücher. Wir müssen nur wieder hinsehen und gezielt danach suchen.
Oder diese Bücher und Autorinnen einfach ins Rampenlicht stellen. Und genau das wollte ich zukünftig tun, daher gründete ich kohsie, die Diversity Buchhandlung. In der ersten Planung meines Einzelhandels waren immer schon Bücher eingeplant, als Teil des Sortiments. Nun änderte ich einfach meinen Sortimentsschwerpunkt zugunsten von Büchern, ausnahmslos weiblicher Autorinnen.
Doch das war erst der Anfang.

Denn zum einen reden wir oft von männlicher und weiblicher Literatur aber vergessen dabei, dass es auch Bücher von Autorinnen gibt, die sich nicht diesem binären Geschlechtsspektrum zugehörig fühlen. Des Weiteren reicht es nicht, unseren Blick nur auf weiße Frauen und diverse Menschen zu richten. Denn das ist oft die zweite Ebene, die in der Literatur vernachlässigt wird: Bücher von Schwarzen und indigenen Autor:innen und Bücher, die von People of Color geschrieben wurden.
Um das ganze Bild zu verdeutlichen, noch heute taucht in der oben genannten und verlinkten Literaturempfehlung für Gymnasien in Sachsen-Anhalt (die 218 Autor:innen enthält) genau eine Empfehlung für einen Schwarzen Mann auf (Meja Mwangi), ebenso nur eine für eine Schwarze Frau (Toni Morrison), beide sind nicht aus Deutschland.
Aber auch hier liegt das Problem nicht darin, dass es Literatur von Schwarzen Menschen und PoC nicht gibt, sondern dass sie schlichtweg wenig bis keine Aufmerksamkeit erhält. (Überraschung : Es gibt diese Literatur sogar von deutschen Schwarzen Menschen und PoC. [Ironie:off]) Bei kohsie, der Diversity Buchhandlung, möchte ich das anders machen. Daher liegt ein großer Schwerpunkt meiner Buchauswahl in den Werken von Schwarzen und indigen Frauen und diversen Personen und weiblichen und diversen People of Color.
Als letzten Punkt noch zum Thema Kinderbücher. Noch heute sind die meisten Kinderbücher alles andere als divers. Sei es, dass auch hier meist weiße Kinder und Menschen gezeigt werden, zu oft nur heteronormative Familien gezeigt werden oder Geschlechterklischees nicht nur reproduziert, sondern auch verstärkt werden. Schlimmstenfalls wird sogar rassistische Sprache beibehalten oder sogar neu hineingeschrieben.
Das ist einfach nicht mehr hinnehmbar. Es ist nicht nur enorm wichtig, dass sich Kinder in Büchern repräsentiert fühlen, sondern auch, dass sie unterschiedliche Lebensrealitäten kennen lernen und sehen, dass es mehr gibt was normal ist, als das, was sie selbst bisher in ihrer Lebensrealität kennen. Auch hier will ich einen Unterschied bieten und habe gezielt Kinderbücher ausgesucht, die unterschiedliche Lebensrealitäten zeigen, die sich nicht nur auf zwei Geschlechter oder auf Heteronormativität beziehen und bei denen sich eine Vielzahl von Kindern repräsentiert fühlen. Bücher, die ich selbst als Kind gerne gelesen hätte.
All dies hier aufzubauen, fühlt sich für mich so richtig an. Es ist, als ob ich einen Schlüssel besitzen würde und endlich das richtige Schloss gefunden hätte, das er aufsperrt. Ich liebe es, dass die Beschäftigung mit Büchern zukünftig mein (Berufs-)Leben bestimmen. Ich liebe es, zu zeigen wie vielfältig die Bücherlandschaft wirklich ist und wie einseitig sie im Gegenzug bisher dargestellt wird.
Ich fühle mich angekommen.
Hier in der Stadt Halle und auch bei mir selbst.
Das ist meine Geschichte und die Geschichte von kohsie, Kapitel 1. Wie es weitergeht? Keine Ahnung. Mal sehen, was in den nächsten Kapiteln noch so alles passiert.
Mich würde aber wahnsinnig freuen, wenn du mit dabei wärst.
Bis dahin alles Liebe,
Deine

Wow! Hochachtung! Ich freue mich sehr über deine Initiative und wünsche dir ganz viel Erfolg und auch Glück dabei – in Form von Glücksgefühlen. 🙂
Olaf Jacobsen
Vielen Dank. 😊
Sehr interessanter Hintergrund, tolles Konzept und eine sehr schöne Buchhandlung. Ich komme gerne wieder. 🙂
Das freut mich, vielen Dank. 🥰
Ein wunderbares Projekt der Diversity Buchladen!! Alles alles Gute dafür! Herzliche Grüße aus Karlsruhe von Anne – Bin mit meiner „Diversity Werkstatt“ auch in Sachen Vielfalt unterwegs…eine Empfehlungsliste für Kinderbücher abseits der Klischees wäre großartig und würde ich gerne auf meiner Seite http://www.anne-keck.de zu deinem Buchladen verlinken falls es das künftig geben sollte:)
Hallo Anne,
danke für deinen Kommentar und deine lieben Wünsche. Wir haben viele diverse Kinderbücher in unserer Buchhandlung, die Erstellung einer Empfehlungsliste ist aktuell in Arbeit. 🙂 Ich würde mich freuen, sie dir zukommen zu lassen sobald sie fertig ist.
Viele Grüße,
Sarah
Hallo Sarah, super, freue mich drauf, danke!