Heute stelle ich euch einen Thriller vor, der es wahrscheinlich auch auf die Halloween-Leseliste schafft. Denn manchmal braucht es weder übernatürliches noch Geister, um beim Lesen eine Gänsehaut zu schaffen. Abigail Dean holt mit „Girl A“ den Horror in die Nachbarschaft, direkt hinter den nächsten Gartenzaun.

Inhalt:
Girl A beschreibt die Geschichte einer Familie aus England. Von außen wirken die Gracies wie eine glückliche Großfamilie, doch hinter den Kulissen der Idylle spielt sich der Horror ab. Alexandra Gracie ist die älteste Tochter der Familie und zusammen mit ihren Geschwistern den Misshandlungen und der Vernachlässigung ihrer Eltern ausgesetzt. Die Geschwister werden brutal verprügelt, müssen hungern, werden zuletzt sogar ans Bett gefesselt und vieles mehr. Diese Tortur setzt sich fort, bis es der 15-jährigen Alexandra (Lex) endlich gelingt zu fliehen und die Polizei zu alarmieren.
Daraufhin werden auch die anderen Kinder endlich aus dem Horrorhaus, wie die britische Presse es später bezeichnet, befreit. Es folgt psychologische Betreuung und nicht zuletzt auch Wiedereingliederung der Gracie-Kinder, haben viele von ihnen doch schon seit Monaten das Haus nicht mehr verlassen. Die Geschwister werden danach auf Adoptivfamilien aufgeteilt und versuchen nach den Erlebnissen ein neues Leben zu beginnen, was mehr oder weniger gut gelingt.
Doch schließlich stirbt die Mutter im Gefängnis uns spätestens dann muss sich Alexandra wieder mit ihrer Vergangenheit beschäftigen. Um den Umgang mit dem Erbe, etwa auch dem Elternhaus selbst, zu klären, muss Lex nach vielen Jahren der Trennung wieder Kontakt zu ihren Geschwistern aufnehmen. Das bedeutet, alte Wunden, die verheilt zu sein schienen, reißen wieder auf und Girl A muss sich erneut ihrer Vergangenheit stellen.
Fazit:
Der Thriller „Girl A“ hat mir wirklich gut gefallen. Ich fand die Geschichte unglaublich spannend und hatte das Buch daher auch innerhalb 3 Tagen ausgelesen. Die Story um die Familie Gracie ist unglaublich gut geschrieben wie ich finde.
Ich mag es, dass wir zeitlich im „Danach“ beginnen. Wir lernen Alexandra Gracie als erwachsene Frau kennen und erfahren nur durch Rückblicke, was damals wirklich passiert ist. Doch auch diese Erinnerungsteilchen setzen sich erst nach und nach zusammen, so dass wir erst im Verlaufe des Romans das komplette Ausmaß der schrecklichen Ereignisse erkennen können.
Der Horror wird übrigens nie zu grafisch beschrieben, die Autorin Abigail Dean lässt viel Spielraum für die eigene Fantasie, um die Bilder im Kopf zu vervollständigen. Das sorgt dafür, dass hier nicht ein voyeuristisches Spektakel von Gewalt gezeigt wird, sondern „Girl A“ auch eine versteckte Kritik an der Gesellschaft beinhaltet. Denn bald wird klar: so versteckt wie zuerst angenommen war der Missbrauch nicht. Sowohl der Schwester der Mutter als auch anderen Bezugspersonen, wie etwa Lehrer*innen, hätte auffallen müssen, wie verdreckt die Kinder sind und wie sehr sie mehr und mehr abmagern. Doch sämtliche Außenstehenden entscheiden sich dazu, lieber wegzusehen und zu schweigen.
Eine Stärke des Buches ist es ebenso, sämtliche Personen stets als menschlich darzustellen. Keine der Figuren in „Girl A“ ist ausschließlich gut oder böse. Auch die Eltern werden, vor allem zu Beginn, nicht als die ultimativen Monster dargestellt. Sondern als Menschen mit durchaus liebenswürdigen Charakterzügen, aber eben auch mit tiefen Abgründen in ihrem Wesen, die den Rest der Familie mit ins Verderben ziehen. Abigail Dean schafft es ebenso, die Spirale der Gewalt darzustellen, die weitergegeben werden kann, wenn Menschen traumatische Erlebnisse in ihrer Kindheit erleben müssen.
Sie fordert uns indirekt auf, genau hinzusehen, denn das Böse ist nicht immer ein Ungeheuer an einem entlegenen Ort, sondern lauert manchmal direkt hier bei uns, eventuell sogar hinter den Türen des Nachbarhauses.
Ich kann „Girl A“ als spannenden Thriller wirklich sehr empfehlen, vor allem, weil er so vielschichtig ist und die Ambivalenz von Gut und Böse in scheinbar ganz normalen Menschen zeigt.
Aber Achtung: Obwohl hier zwar die Geschehnisse nicht allzu direkt beschrieben werden, ist dieser Thriller definitiv nichts für schwache Nerven.

Übrigens: Die Geschichte, die hier erzählt wird, ist nur zum Teil fiktiv. Die Erzählung basiert auf den Geschehnissen rund um die Turpin-Familie aus Kalifornien. Eine Familie, die auch nur auf den ersten Blick als fröhlicher Haufen wirkt, bei denen aber ähnliche Misshandlungen wie die im Roman beschriebenen, stattgefunden haben.

Kurzinfo zu „Girl A“ von Abigail Dean
Sprache: Deutsch
Erscheinungsjahr: 2021
Seitenzahl: 512 Seiten
Viel Spaß beim Lesen,
Deine
