Wir haben heute wieder eine Gastrezension für euch, diesmal von V. V hat das transcodiert Magazin gelesen und wir bedanken uns bei V für die ausführliche Rezension dazu.
Als Info vorneweg: transcodiert ist ein queeres Literaturmagazin, das bei uns in der Buchhandlung erhältlich ist. Die erste Ausgabe, die auch hier rezensiert wurde, erschien am 20.11.2021. Hier gelangt ihr zum Homepage von transcodiert: https://www.transcodiert.de/
Ich bin V [kein Pronomen oder they/them]. Ich positioniere mich in verschiedenen Kontexten als trans*, nicht-binär, agender oder queer – am liebsten jedoch gar nicht, bin weiß und erlebe in meinem Leben neben genderbezogenen Diskriminierungen auch Diskriminierungen aufgrund meiner Neurodivergenz. Ich lebe in und um Halle, lese und mache viel Polit-Krams (kein Partei-Zeugs, keine Sorge) und halte mich mit oft nerviger Lohnarbeit über Wasser oder – wenn mal Anfragen reinkommen – mit Vorträgen oder Workshops.
Ich stelle euch heute die erste Ausgabe des queeren Literaturmagazins Transcodiert und meine subjektive Leseerfahrung vor. Erschienen ist es bereits im November 2021; Herausgeber*in ist Biba Nass.
Direkt im Vorwort erläutert Biba Nass, was es mit Transcodiert auf sich hat und warum es unbedingt nötig ist: Biba bemerkt, dass es gesellschaftlich an Orten und Existenzmöglichkeiten für inter*, trans*, nicht-binäre* und queere* Menschen fehlt und sich dies natürlich auch direkt in der Literaturszene widerspiegelt, welche sich am Ende auch nur in festgesetzten Strukturen bewegt. Genau an diesem Punkt setzt Transcodiert an – diese Strukturen zu verformen, zu biegen und dadurch letztlich den Stimmen Gehör zu verschaffen, die sonst nicht oder nur wenig beachtet werden, ist klar formuliertes Ziel des Magazins.
Ich lese die erste Ausgabe von Transcodiert über einen längeren Zeitraum; es eignet sich meiner Meinung nach nicht zum bloßen „Herunterlesen“. Das Magazin besteht aus einer Vielfalt von Einzeltexten, darunter Gedichte, aber auch längere Prosa, Tagebucheinträge auf überwiegend Deutsch, aber manchmal auch Englisch, und immer wieder auch Zeichnungen und Illustrationen von Autor*innen und Künst*lerinnen unterschiedlichster Positionierungen.
Ich nehme das kleine Büchlein in die Hand, lese einige wenige Texte. Meine Fragen, meine Probleme, meine intimen schönen Momente in Bezug auf Gender werden aufgegriffen. Ich fühle mich verstanden, ich fühle mich empowered. Ich erlebe immer wieder, dass mich die Texte dazu bringen, neu zu reflektieren, auch wenn ich schon so oft über diese Themen nachgedacht habe. Meine Perspektive wird immer wieder erweitert, andere Denkweisen aufgezeigt. Auf den letzten Seiten kann ich mehr über die Person erfahren, deren Text ich gerade lese und ich bekomme das Gefühl, die Person auch ein bisschen zu kennen.
Die Struggles, die ich vor ein paar Jahren allein mit mir ausmachen musste, werden in Transcodiert sehr persönlich thematisiert und mir wird immer und immer wieder von den Autor*innen deutlich gemacht, dass nicht ich das Problem bin, sondern die Leute, die mich nicht verstehen, nicht verstehen wollen. Es ist nicht meine Schuld, dass ihr meinen Namen immer noch nicht hinbekommt. Es ist nicht meine Schuld, dass ihr nach unzähligen Erklärungen immer noch nicht wisst, wie meine Pronomen funktionieren. Es ist nicht meine Schuld, dass ich Gewalt erlebe. Ich weiß das – eigentlich – und doch tut es gut, in diesen Texten immer wieder zu lesen, dass wir okay so sind, auch wenn wir ständig geandert werden.
Die meisten Texte sind sehr persönliche Verarbeitungen von Erfahrungen und beziehen sich auf die Person, welche den Text schrieb, doch dadurch, dass ich mich in den Erzählungen wiedererkenne, fühle ich mich auch direkt adressiert.
Es sind die schönen Momente und die nachdenklichen, die die schreibenden Personen aufs Papier bringen, aber auch die tiefe Verzweiflung über das Beobachtet-, aber nicht Gesehenwerden, über das Reduziertwerden auf das, was die Mehrheitsgesellschaft in uns glaubt zu sehen.
Und doch werde ich in Transcodiert immer wieder mit Marginalisierungen konfrontiert, welche ich nicht aus erster Hand erlebe. Queere und trans* People of Colour berichten von ihren Leben, wie sie von weißen Queers rassistischen Übergriffen ausgesetzt sind und nicht dagegen sprechen können, wie weiße Mittelschicht-Leute, obwohl im gleichen Viertel, in einer ganz anderen Welt leben, Flucht wird thematisiert – und das alles in der Verschränkung mit Queerness.

Besonders gefällt mir der Text „non-binary“ von Xinan. They stellt fest, dass „nicht-binär“ immer wieder auch ein Bezug zur Binärität und damit zu „männlich“ und „weiblich“ darstellt und dass es unfassbar anstrengend ist, sich durch eine Welt zu navigieren, in der diese Kategorisierungen immer wieder an eins herangetragen werden. Auch der Versuch, mit „non-binary“ aus dem Käfig der Binärität auszubrechen, lässt wieder neue Erwartungen und damit einen neuen Käfig entstehen [Metapher]. Ich kenne das nur zu gut. Ich bin nicht „nicht-binär“, ich bin nicht binär.
Ich lerne viel von diesen Texten und den Autor*innen. Ich bin mir sicher, dass es euch auch so gehen wird, ganz egal ob und wie ihr euch positioniert, ob ihr queer seid oder nicht.
Vielen Dank V für deine Rezension und den Einblick ins transcodiert Magazin. Wenn ihr jetzt neugierig geworden sind, das Magazin ist bei uns im Laden erhältlich. Wenn du nicht aus Halle bist, senden wir es dir auch gerne zu. Schreib uns dazu einfach eine E-Mail an mail@kohsie.de